Lehrjahre

Die hier erzählte Geschichte ist frei erfunden. Der Erzähler scheint zwar der Admin zu sein, aber Lehrling bei Radio-Voigt ist er nie gewesen. Die “Abenteuer” die er in Schleswiger Haushalten und Betrieben als angehender Techniker erlebt hat, hat es so nie gegeben. Sie sollen die Leserinnen und Leser des “Klassentreffens” unterhalten, sonst nichts. Das Ganze wird in Fortsetzungen erzählt. Vielleicht wird es ja was. Vielleicht kommt es auch gleich wieder in die Tonne. Mal gucken.
 
 

Mein Vater wollte immer, dass ich mit einem weißen Kragen zu Arbeit gehe. Er war ja auch ganz stolz auf mich, als ich dann, 16 Jahre jung, mit umgebundenem Schlips und Mittlerer Reife jeden Tag zum ZOB runter stiefelte.

Mein Vater war Maler, wie sein Vater. Als er 1948 aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurück kam, fand er, 30 Jahre alt, seine Familie, Frau und die beiden in Fronturlauben gezeugten Kinder, heil in St. Jürgen wieder.

Die Maloche ging weiter, wie vor dem Krieg. Ich glaube, er hasste es, unter der Fuchtel des Malermeisters, der seinen Betrieb in der Moltkestraße hatte, kuschen zu müssen. Er hat aber immer ganz fröhlich erzählt, wie er bei den höheren Schleswiger Herrschaften das Wohnzimmer malen durfte und wie diese Leute dann durchaus wohlwollend mit ihm umgingen: “Herr Tams, gucken Sie doch mal, ist dieses Bild nicht schön?”. Ihm war eine gewisse Neigung zu den höheren Dingen des Lebens eigen. Er liebte die Kunst und die schönen, alten Dinge. Aber sein Sohn sollte nicht für andere Leute den Pinsel schwingen.

Eine gewisse Enttäuschung war dann doch da, als ich ihm sagte, dass ich bei Radio-Voigt im Stadtweg als Lehrling anfangen würde. Sowohl für ihn als auch für mich war das Ganze holterdipolter gegangen. Bei der Debeka im ZOB lief eigentlich alles ganz gut. Aber ich hatte die Schnauze voll. Irgendwie. Das Höchste in dem Laden war die Bearbeitung von Erstattungsanträgen. Man hatte seinen Platz an einem Schreibtisch, mit Diktiergerät und Addiermaschine, ein anderer Sachbearbeiter gegenüber.

Man bekam die tägliche Portion von Anträgen, also Arztrechnungen und Rezepte zusammen mit einer Pappkarte, auf den Tisch. Dann rechnete man aus, was der Versicherte, es waren immer Lehrer, zurück bekommen sollte. Wenn der arme Kranke mit “Vegetativer Dystonie” zuviel “Dulcolax” gegen Verstopfung verschrieben bekommen hatte, galt es, den Anspruch abzulehnen. Dann kam später die Beschwerde des ungerecht behandelten Lehrers und man musste eine Begründung für die Ablehnung diktieren. Manchmal, als Gründen die nur der Chef kannte, wurde dann doch erstattet.

Man wäre also, vorausgesetzt, man wäre nach der Lehre als Sachbearbeiter für die Erstattung übernommen worden, hierarchisch nicht ganz unten gewesen. “Unter sich” hätte man die beiden Zuarbeiter aus der Registratur gehabt, die die eingehenden Anträge vorbereiten mussten – und dann ja auch die beiden Damen, die die diktierten Briefe schreiben mussten. Der “Pschyrembel” gehörte zu unserem Handwerkszeug, weil wir sonst nur Bahnhof verstanden hätten.

Aber über allem schwebte der Chef, der jeden Furz prüfte und unterschrieb. Es war die Regel, dass er mit Anträgen auftauchte und Fehler bei der Errechnung des Erstattungsbetrages gefunden hatte, oder auch nur eine andere Meinung hatte – natürlich die richtige. Der Herr Chefarzt hatte beispielsweise den Blick in den After des Patienten mit einem zu hohen Betrag aus der “ADGO” angesetzt. Da hatte er dann wieder recht, der Chef. Aber es war doch frustig, regelmäßig gerügt zu werden.

Eines Tages, ich glaube es war am Ende des zweiten Lehrjahres, ging ich zu Radio-Voigt im Stadtweg, um Radio- und Fernsehtechniker zu werden. Die alten Radios hatten es mir schon immer angetan. Der Chef empfing mich in seinem feudalen Büro im ersten Stock. Mit der Zigarre in der Hand beäugte er mich von seinem dicken Sessel aus und schien sich über mich zu amüsieren. Er fand es wohl irgendendwie ganz schmeichelhaft, dass ich seine Werkstatt gegen einen Schreibtisch tauschen wollte. “Ja, Sie können anfangen”. Das war erstmal alles.

Der Chef der Debeka guckte sehr enttäuscht, als ich ihm meine Entscheidung mitteilte; “Herr Tams, haben Sie es sich wirklich gut überlegt?”. Ich stand die Sache aber durch, Schwamm drüber.

Der neue Lebensabschnitt begann.

Montagmorgen, halbsieben, Lehrling bei Radio-Voigt. Kein Schlips, sondern ein kariertes Hemd und eine ausgebeulte Hose. Mein Vater hatte gemeint, “nimm ‘ne Brotdose mit, hier hast du meine alte”. Er versuchte, mir Mut zu machen, was ich ihm hoch anrechne. Meine Mutter guckte besorgt, was aber keine Rolle spielte.

Es war noch nicht richtig hell. Nieselregen. Angelner Straße, Schubystraße, Moltkestraße runter. Bei Maler Petersen vorbei, wo mein Vater malochte. Komisches Gefühl. Unten links rum in den Stadtweg, an der Post vorbei – und dann kam die Fensterfront von Radio-Vogt. Sie war hell erleuchtet, damit man rund um die Uhr all die schönen Radios, Fernseher, Staubsauger und Lampen sehen konnte. Ein feiner Laden. Nur die Eingangstür war noch zu. Rütteln nützte nichts. Eine Klingel gab es nicht. Wie ich reinkommen sollte, war mir nicht gesagt worden. Links und rechts von Nr. 45 und 45a gab es keine Gänge.

Na gut, das Problem war ja wohl lösbar. Zurück zur Post, die Poststraße runter und links rein in den Schwarzen Weg. Von hinten rum musste es doch möglich sein, an seinen Arbeitsplatz zu kommen. Das hätte ich mir auch gleich denken können, dass die Leute im Blaumann nicht durch den Laden spazieren sollten.

Die eine, kleine Tür war offen und ich betrat einen muffigen dunklen Flur. Es ging ein Stück geradeaus und dann rechts rum. “Werkstatt” stand auf einem Schild an einer Tür. Davor ein Riesenschnauzer. Der schnauzte – nein – brummte mich erstmal an. Ich sagte mir in der ersten Schrecksekunde: “das ist der Hund des Chefs”. Später stellte sich dann heraus, dass es der Hund der Chefin war. Die geschätzte Leserin oder der ebenso geschätze Leser wird also bemerken, dass ich im Tausch gegen einen Chef bei der Debeka schon mal einen Chef, eine Chefin und den Hund der Chefin “über mir” hatte.

Was mochte mich wohl in der Werkstatt erwarten…

(Fortsetzung folgt)

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3 Gedanken zu „Lehrjahre“

  1. Moin Gerd, ich hab die Story noch nicht ganz durch. Aber beim Lesen der ersten Zeilen (Vater war Maler…) fiel mir spontan der Spruch eines guten Freundes (hat Maler und Anstreicher gelernt) ein. Der pflegt immer zu sagen: “Eigentlich wollte ich ja Arzt werden. Aber mein Vater sagte: Werde du man Maler, da kannst du auch`n weißen Kittel tragen.” :mrgreen:

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