Suchen in staubigen Archiven bringt manchmal doch etwas ans Tageslicht. Auch wenn es schon länger her ist, kann man bei der Nacherzählung ja die Gegenwartsform verwenden:
…Klaus fühlt sich in Wohlde nicht wohl. Mit seinen 14 Jahren ist er jetzt in der letzten Klasse der Dorfschule. Der Lehrer hat nichts Besonderes an ihm entdeckt, das ihn zu einer “Karriere” befähigen könnte. Naja, seine zugezogene ledige Mutter ist in der Hierarchie des Dorfes ganz unten. Und er sieht für sich auch keinenBlumentopf. Die neue “Bewegung” verspricht zwar vieles für aufstrebende und wehrhafte junge Männer. Aber die Söhne der Bauern und Handwerker sind eben in allen Belangen besser. Sie haben die schöneren Uniformen und die richtigen Namen. Marschieren können sie auch…
Klaus brütet so vor sich hin. Die Freunde, mit denen er als Kind spielte, wurden Pimpfe und Fremde für Klaus. Er gehört nicht dazu. Klaus beschließt wegzugehen.
Also braucht er nur den Zug um 15:22 Uhr nach Schleswig zu nehmen und wird dann schon sehen, wie es weitergeht. Das Geld für die Fahrkarte und einen Notgroschen hat er schon auf der hohen Kante, ohne dass er seine Mutter bestehlen muss. Was er so für die ersten ein oder zwei Tage zum Essen braucht, kann er sich in der Küche machen. Seine Mutter ist ohnehin nicht da, weil sie als “Minna” bei einem der hiesigen Bauern dient. Klaus schreibt noch einen Zettel “Komme bald wieder” und legt ihn auf den Küchentisch. Mit dem Zug geht es in der 3. Klasse in die große Stadt. Hollingstedt, Groß-Rheide, Kropp und Jagel ruckeln vorbei und dann zeigt sich die Schlei – der Weg in die Welt!
Der Weg zur Schlei ist leicht zu finden. Außerdem war Klaus schon einmal mit seiner Mutter in Schleswig gewesen und hat eine Vorstellung von dieser Stadt.
Gegenüber vom Dom geht ein Weg über die Wiesen zur Schlei und den Bootshäusern. Da der Dom nicht zu übersehen ist, geht Klaus wohlgemut die Plessenstraße entlang und dann auf den Wiesendamm.
Klaus begeht zum ersten Mal in seinem Leben etwas Unrechtes, nimmt sich das Paddelboot,
schleppt es zum Wasser und paddelt los. Dass er dabei nasse Füße bekommt, bermerkt er nicht. Er paddelt wie ein Wilder, bis er die Landzunge bei den Bootshäusern und dem Luisenbad umrundet hat. Er steuert jetzt die Möweninsel an und merkt erst jetzt, dass sich das Boot langsam mit Wasser füllt. Und Klaus kann nicht schwimmen… Klaus’ Leichnam wurde Tage später am Ufer der Königswiesen gefunden. Die Schleswiger Nachrichten haben nichts über den namenlosen Jungen geschrieben. Das Amt hat für eine Beerdigung auf dem Friedhof am Stadtfeld gesorgt.
Über die Mutter in Wohlde schweigen sich die Quellen aus…
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