Die Schule

SN vom 1.11.2017: “Die Schleswiger Gallbergschule wird in den kommenden Jahren geschlossen”. Admin: Mit dem nachfolgenden Text hat der Grund der Schließung nichts zu tun.

Admin: Reinhard Dendtler alias “Reini” hat sich in einem Kommentar zu den Lehrern in der Gallbergschule und der St. Jürgen-Schule geäußert. Ich habe den Kommentar als Beitrag übernommen. Da wohl alle von Reinhardt Dendtler genannten Lehrer schon vor Jahren verstorben sind, muss nichts aus Datenschutzgründen gestrichen werden – ausgenommen der Name eines Lehrers, der lt. Reini noch lebt. Außerdem hat das Thema “Prügelstrafe” m.E. übergeordnete Bedeutung. Das Thema wurde im “Klassentreffen” schon behandelt. Leute meiner Generation (geb. 1944) haben noch unter der “legalen” Prügelstrafe gelitten. Die Fotos sind vom Admin eingefügt.

Reini:
Thema Gallberg- und St.Jürgen-Schule.

Liebe Leser!
Es liegt ja wohl in der Natur des Menschen dass vieles mit dem Alter verklärt oder beschönigt wird. Ich werde hier einmal, wenn’s erlaubt, ist einen Auszug aus meiner Biografie zum “Thema Schule” zum Besten geben.

Schule
Das Thema Schule wird ein besonderes Kapitel, weil dieses ein einschneidender und prägender Abschnitt meines Lebens war und mich, wie viele andere Leidensgenossen, geformt hat. Ich werde mich nur auf die für mich wesentlichen Erlebnisse beschränken.

Da ich ein aufgeweckter Junge war, wie meine Eltern sagten, kam ich mit fünfeinhalb Jahren in die Gallbergschule. Ich kann es mir nicht verkneifen, zu denken, daß es meiner Mutter sehr angenehm war mich morgens los zu sein und sie so mehr Zeit für ihre Hausarbeit hatte. Wenn ich mir mein Einschulungsfoto so
anschaue, mit der geliehene Jacke, Schirmmütze und der Einschulungstüte, die auch nicht die meinige war, und meinen freudigen Gesichtsausdruck darüber betrachte, daß ich endlich in die Schule durfte, wird mir heute noch kotzübel. Wenn ich heute daran denke, mit welchen Erziehungsmethoden damals eine kleine Kinderseele systematisch zerbrochen wurde, empfinde ich heute keinen Haß mehr, sondern nur noch Mitleid mit den kranken Lehrkräften.

Es dauerte wiederum nur drei Tage, bis ich zu meinen Eltern sagte: “Ich gehe nicht mehr in die Schule!“

Folgendes war passiert:
Meine erste Klassenlehrerin hieß Mimi Josten. Sie war eine kleine weißhaarige – die Haare wie ein Kunstwerk zu einem Dutt hochgesteckt, resolute, alte Dame, die schon viele viele Kinderseelen zerstört hatte und die durch ihr langjähriges Berufsleben genau wußte, wie sie sich bei Erstklässlern Respekt verschaffen konnte. Frau Josten vermittelte beim Sprechen den Eindruck, einen Kloß im Hals zu haben. Dieses animierte mich dazu, mich zu räuspern. Der Zweck dieser Übung war, sie wiederum dazu zu bewegen sich zu räuspern, wodurch sie ihren Hals frei bekommen sollte. Als mir dieses beim ersten Mal nicht gelang, wiederholte ich diesen Vorgang. Gesagt, getan. Da fuhr sie mich an und sagte laut: “Wenn ich es für nötig halte, werde ich mich von alleine räuspern und ich brauche keinen, der mich versteckt dazu auffordert. Wenn du dieses noch einmal wagst, wirst du schon sehen, was passiert“.

Nach einer Viertelstunde etwa habe ich den Fehler begangen, ohne daß ich es wollte, mich zu räuspern. Prompt kamen Blitz und Donner über mich.

Ich mußte nach vorne kommen und meine Hände ausstrecken. Mit aller Wucht schlug Frau Josten mir mit einem Holzlineal auf meine Fingernägel. In diesem Moment habe ich gedacht, die Kreisbahn fährt über meine Fingerspitzen. Sofort schossen mir die Tränen in die Augen. Obwohl ich doch wußte, daß Jungs nicht weinen, konnte ich mich nicht zurücknehmen. Dann sagte sie; „Dieses wird dir hoffentlich eine Lehre gewesen sein. Wenn du dich in Zukunft nicht benehmen kannst, habe ich noch andere Mittel und Wege“.

Ich schwöre bei Gott, dies war mir eine Lehre. Von nun an kannte ich die Bedeutung des Wortes Ungerechtigkeit. War Frau Josten ein niederträchtiges Weib? Oder war sie nur ein Opfer des Erziehungssystems, das Korrektheit durch Unterdrückung durchzusetzen suchte. Sie schlug mich, um einen Sinn für ihre Unzulänglichkeiten als Lehrerin und ihrer Hoffnungslosigkeit zu finden. Das heißt nicht, daß das, was sie mir angetan hat, entschuldigt ist. Aber heute kann ich mit einigem zeitlichen Abstand ihren Blickwinkel erkennen, mag er noch so krank gewesen sein. Heute auch weiß ich, daß ich als Mensch nur weiterkommen kann, wenn ich vergebe.

Haß verdirbt und macht die Seele krank.

Es würde mir nichts nützen, wenn ich all die kleinen Mißhandlungen an Schülern und an mir berichten würde. Aber es verging nicht ein Tag, wo nicht mindestens ein Schüler gezüchtigt wurde.

Ich entsinne mich, daß wir uns in der dritten Klasse nach der Pause an den Händen fassen mußten, um ruhig und diszipliniert in die Klassenräume zurückzukehren. Ich erwischte zufällig einen Schulkollegen mit Warzen an den Händen und ich weigerte mich diesen anzufassen. Trotz der Aufforderung der Pausenaufsicht konnte ich mich nicht überwinden. Die Belohnung waren zwei schallende Ohrfeigen, so daß vor meinen Augäpfeln Blitze und Sterne erschienen. Heute noch bin ich stolz auf mich. Ich hatte das Klassenzimmer erreicht, ohne den Jungen angefaßt zu haben. Und ohne mich der Willkür zu beugen.

Ich erinnere mich genau an den Lehrer Ketelhuhn, der uns in der vierten Klasse unterrichtete. Meine Schulfreunde und ich nannten ihn nur “Mörder“. Wir hatten alle eine unsagbare Angst vor diesem Schläger. Ich weiß noch, daß er einen Schüler namens Wolf mit den blanken Fäusten unter die Bänke prügelte. Dieser Mann hat nicht darauf geachtet, wo er in seiner grenzenlosen Wut hinschlug. Es waren einige Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Später wußte ich, warum dieser Schüler so leiden mußte.

Er wurde wegen seiner femininen Art bestraft. Heute weiß ich, daß er schwul war bzw. geworden ist. Dieses spürte Herr Ketelhuhn wohl, und er wollte ihm diese Eigenschaft herausprügeln. Wenn der besagte Pädagoge Pausenaufsicht hatte und ein paar Jungen sich kappelten, lief er eilig auf die Traube zu und sprang mit einem riesigen Satz mitten hinein. Da er immer ein paar Lederhandschuhe in der Hand hatte, schlug er wahllos dazwischen, bis keiner sich mehr rührte. Einmal erwischte er einen Jungen, der mit seiner Schwester sprechen wollte. Dazu mußte dieser über die unsichtbare Grenze vom Pausenhof, die zwischen den Jungen und Mädchen bestand, gehen. Lehrer Ketelhuhn sah dies und ohne Vorwarnung schlug er ihm ein blaues Auge. Man muß wissen, daß damals die Jungen- und Mädchenklassen auch auf dem Pausenhof getrennt waren. Es war verboten mit den Mädchen zu sprechen, geschweige denn, den Mädchentrakt oder entsprechenden Bereich des Pausenhofes zu betreten. Eine Ausnahme bestand einmal im Jahr darin, daß ein Mädchenchor in der Adventszeit seine Lieder im Jungentrakt sang.

Dieses Jahr, in welchem ich den Lehrer Ketelhuhn “genießen” durfte, war mein bestes Zeugnisjahr. Eines der besten meiner ganzen Schulzeit. Nicht, weil ich davon überzeugt war, daß ich nicht für die Schule lerne, sondern für mein Leben; vielmehr war es die pure Angst vor den Züchtigungen.

In diesem Schuljahr entschied es sich, durch freiwillige Prüfungen, ob wir auf die – wie es damals hieß – Mittelschule oder auf die Oberschule kamen. Wer nicht an diesen Prüfungen teilnehmen wollte, hatte frei. Ich hatte an diesem Tag eine selbst auferlegte Eishockeyprüfung im zugefrorenen Hafenbecken der Schlei. Otti Mitschker und sein unvergessenen Vater, der ein sehr sportlicher und kameradschaftlicher Mann war, waren meine Gegner.

So blieb ich auf der Volksschule.

In der fünften Klasse hatte ich einen Lehrer namens Rehder. Ein bulliger, grauhaariger Mann, den Kopf an den Seiten kurz rasiert und oben einen korrekt gezogenen Mittelscheitel. Unter seiner Zunge hatte er immer einen Vivil-Bonbon abgelegt.
Er war fast immer mit einem grauen Anzug bekleidet. Lehrer Rehder hatte andere Züchtigungsmethoden. Backpfeifen waren seltener, aber dafür drehte er uns das Ohr herum, so daß ich dachte, im Himmel sei Jahrmarkt. Die so behandelten Ohren glühten. Weiterhin nahm er auch gerne die Wange. Diese nahm er zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie, bis es nicht mehr zu drehen ging. Mein Schulkollege Wolfgang hatte einmal eine Woche lang eine geschwollene Wange. Des weiteren beherrschte Lehrer Rehder es, seinen Zeigefinger zu krümmen, diesen unten am Haaransatz anzusetzen und mit ihm blitzschnell am Hinterkopf hochzuschnellen.

Eines Tages fragte mich der Lehrer nach dem Vornamen meines Vaters. Als ich stolz antwortete; “Gerhard”, war meine Schonzeit vorbei. Von dem Tage an hatte ich nichts mehr zu lachen. Nicht nur, daß er mir die üblichen Quälereien angedeihen ließ, nein, eines Tages bekam ich eine Ohrfeige mit der leicht gekrümmten Hand. Den Grund dafür weiß ich bis heute nicht. Es durchfuhr mich ein entsetzlicher Schmerz.

Meinen Eltern sagte ich lediglich, ich hätte Ohrenschmerzen und müsse zum Ohrenarzt. Der Ohrenarzt teilte mir nach der Untersuchung mit, daß mein Trommelfell geplatzt sei und ich dürfe nicht mit dem Kopf unter Wasser, denn dann hätte ich keinen Orientierungssinn mehr. Wenn ich trotzdem baden gehen wollte, müßte ich Ölwatte in die Ohren stecken und noch dazu eine enganliegende Badekappe aufsetzen. Da ich mich für den nächsten Tag im Louisenbad angemeldet hatte, um mein Freischwimmerzeugnis abzulegen, war ich gezwungen mir dieses zu besorgen.

Den Schwimmeister, Otto Siemers (Otje), hatte ich von meiner Behinderung unterrichtet. Ich mußte trotzdem vom 1-m-Brett springen, sonst hätte er die Prüfung nicht gelten lassen können. Als ich den Sprung überstanden hatte und alles gut ging, mußte ich fünfzehn Minuten schwimmen. Da ich bei meiner letzten Schwimmbahn meinte, die Domuhr entziffern zu können, dachte ich, ich hätte mein Soll erfüllt. Der Schwimmeister rief mir etwas zu. Ich hörte auf zu Schwimmen, nahm die Badekappe ab und die Ölwatte aus meinen Ohren. Nun fragte mich der Schwimmeister: „Was soll das? Ich habe lediglich gesagt, das es noch zwei Minuten sind, die du zu schwimmen hast. Nun kann ich es nicht gelten lassen.“ Da ich aber meinen Eltern eine Freude machen wollte und der Schwimmeister in den nächsten Tagen keine Zeit hatte, durfte ich noch einmal für eine Viertelstunde in das kalte Wasser.
So habe ich ausnahmsweise nicht fünfzehn, sondern 28 Minuten gebraucht, um mein Freischwimmerzeugnis zu erhalten. Nochmals Dank an den “Pädagogen“ Rehder.

Erst viele Jahre später habe ich erfahren, warum ich bei dem Lehrer Rehder herhalten mußte.

Eines Tages erzählte ich diese Geschichte meinem Vater und er teilte mir mit, daß auch er diesen besagten Lehrer in seiner Schulzeit hatte. Der Grund für das Verhalten des Lehrers war nach Meinung meines Vaters folgender: Er kam aus einer armen kinderreichen Familie, wo die Strohbetten alle 4 bis 6 Wochen neu gefüllt wurden und der Jüngere die Kleider der älteren Geschwister übernehmen mußte. Jeder aber hatte nur eine Garnitur für sieben Tage in der Woche. Bevor sie früher in die Schule gingen, mußten die Haustiere wie Schweine, Ziegen, Kaninchen, Tauben, Hühner usw. versorgt werden. Diese Aufgaben wurden in der Familie verteilt. Nun kann man sich denken, daß die Kinder nicht wie die Dressmänner in die Schule gegangen sind. Vielleicht haftete auch noch der Geruch des Stalles an der Kleidung. Wer weiß? Erschwerend kam wahrscheinlich noch hinzu, daß mein Vater zuvor in der Dänischen Schule war. Der Nationalsozialismus ließ nicht zu, daß ein deutsches Kind eine dänische Schule besuchte. Lehrer Rehder war ein Nazi. Ein ewig Gestriger.

Wie mein Vater mir berichtete, hat er diesen besagten Lehrer viel später einmal darauf angesprochen. Er hat dem Lehrer sinngemäß gesagt, daß nicht nur er selbst unter ihm gelitten hätte, sondern auch sein Sohn. Er solle sich im nachhinein noch schämen.

Daraufhin sagte Lehrer Rehder nur lapidar; wenn er Fehler gemacht haben sollte, dann täte es ihm leid, aber es gab so viele freche Kinder. Na toll!

Ein Privileg der Lehrer war es, die Rohrstöcke auf den Hintern der Schüler zu zertrümmern. Das Privileg der Schüler war es, daß wir Geld bekamen und zu der Firma Ahrens auf dem Gallberg gehen mußten, um eine Auswahl von verschiedenen Stärken an Rohrstöcken zu besorgen. In der Schule wieder angekommen, war es ein weiteres Privileg, sich einen Rohrstock aussuchen zu dürfen, womit man geschlagen werden sollte. Natürlich suchten wir uns immer den dicksten Stock aus, weil der nicht so schmerzte.

Lehrer Colloch: Bei dem Erdkunde-Lehrer war es üblich, daß er einem bei einer 5, einem fünf Schläge auf den Podex gab. Bei einer 6 gab es einen Arschvoll. Man mußte sich bücken, damit die Hose schön stramm war und man auch wirklich etwas spürte.
Da Erdkunde ein Fleißfach war, kann man sich bei mir vorstellen, daß auch ich das Privileg kenne, die Rohrstöcke zu besorgen. Auch ich durfte mir den dicksten Reetstock aussuchen. Bei einer geschriebenen 6 wußte ich, daß ich für die Reetstockorgie auserwählt war. Ich war nicht dumm und steckte mir vier Hefte in die Hose.

Beim Bücken fiel dem Lehrer die verformte Hose auf. Er sagte: „Sofort nimmst du die Hefte aus deiner Hose! Denkst du ich habe es nicht bemerkt?” Ein Heft nahm ich heraus und ich bückte mich wieder. „ Da ist ja noch ein Heft in deiner Hose”, schrie er. Also nahm ich noch ein Heft aus meiner Hose und bückte mich wieder. Als der Lehrer Colloch wiederum bemerkte, daß da noch mehr Hefte in meiner Hose steckten, flippte er völlig aus. Nun drosch er wie wild auf mich ein, so daß ich mit dem Kopf im Papierkorb landete. Mein Glück war der Schulschrank, der rechts von dem Papierkorb stand, so daß die meisten Schläge mit seinem Rohrstock an dem Schrank abprallten. Außerdem hatte ich ja noch zwei Hefte in meiner Hose. Hi Hi.

Zum Thema Gallbergschule sind da noch die Lehrer Tschonka und Pankow zu erwähnen. Der eine Lehrer pflegte immer zu sagen „Jiebt Dreie”. Er hatte die Angewohnheit den Kopf vom zu bestrafenden Schüler zwischen seine Oberschenkel zu klemmen, mit der linken Hand den Hosenbund anzuziehen, um dann mit der Rechten den Rohrstock auf den Hintern zu schlagen. Mindestens drei Mal, weil der Spruch ja hieß “Jiebt Dreie“. Dieses stimmte nicht immer, da sich die Anzahl der Schläge nach dem Grad seiner Wut ausrichtete. Einmal hatte er sich meinen Pfadfinderfreund Karsten W. auserkoren, um ihn zu züchtigen. Als der Lehrer nun den Kopf von Karsten zwischen seine Beine geklemmt hatte und gerade den Stock schwingen wollte, biß Karsten dem Lehrer ins Bein. So mußte der Lehrer unweigerlich die Klemmvorrichtung lockern und Karsten bekam einen Freiraum. Er konnte sich lösen und lief geschwind aus dem Klassenraum. In diesem Moment war Karsten mein uneingeschränkter Held und ich schloß mich ihm und den christlichen Pfadfindern ein paar Tage später an, die sich die Maxime auferlegten “Jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen“. Am nächsten Tag wurden seine Eltern in die Schule zitiert. Soviel ich weiß, versprachen sie dem Lehrer ihren Sohn ins Gebet zu nehmen.

Am nächsten Tag lenkte der Lehrer das Thema auf Jähzorn. Der Lehrer fragte die Schüler, ob sie einen kennen, der jähzornig ist? Darauf hin sagten einige Kinder: “Ja, Karsten W.“ Spätestens jetzt wußte ich, wie lenkbar und grausam Kinder sein können. Es ist für mich eindeutig, daß in der Schulhierachie die Regel besteht: “Wenn ich von oben getreten werde, dann trete ich nach unten zurück”.

Ich war in einem Alter, wo ich ein schlaksiger, durchtrainierter, schneller und guter Sportler war. Kein Graben war mir zu breit. Keine Mauer und kein Baum war mir zu hoch. Kein Abhang war mir zu tief und kein Abenteuer zu gefährlich. Kein älterer Junge zu groß oder zu stark. Ich habe mir nie in meinem Leben Schwächere ausgesucht, um mir Respekt oder Anerkennung zu erwerben. Im Gegenteil. Die Schwachen standen immer unter meinem persönlichen Schutz. Wie bei Robin Hood, den ich damals gerade las und den ich verehrte.

Den Faustkampf beherrschte ich gut. Mein Vorteil war, daß ich ein gutes Abschätzungsvermögen und ziemlich lange Arme hatte. Weiterhin besaß ich Schnelligkeit und kannte keine Angst. Da ich mir die großen Jungs aussuchte, und auch gewann, brauchte ich mich nicht mit dem “Kruppszeug“ abzugeben. Ich war kein Schläger und ich bin dem Streit aus dem Weg gegangen, aber wenn es sein sollte, habe ich mich gestellt.

Einmal hatte ich mir meinen rechten Arm gebrochen. Nicht etwa bei einer meiner Abenteuerexkursionen, ich bin ganz simpel bei der Kreisbahnwendestation in der Plessenstraße hingefallen. Da ich jetzt einen Gipsarm hatte, sah ein Riesenkerl seine Chance mir einmal eine Lektion zu erteilen. Leider hat er nicht geahnt, daß Gips sehr hart ist; so brauchte ich nur einen Schlag mit meinem Gipsarm für sein Kinn und ich hatte meine Position verteidigt. Es ist nicht erwähnenswert, daß ich etliche Begegnungen dieser Art hatte, denn der Vergleich mit der Tierwelt ist angebracht. Die “Rangordnung” wollte immer wieder verteidigt werden.

Mein Ruf hatte den Vorteil, daß ich als Nicht-Holmer über den Holm zum Netzetrockenplatz gehen konnte, was für andere Jungs nicht selbstverständlich war, da die Holmer Jungs ihr Revier gegen jeden Fremden eifersüchtig bewachten.

1960 (Admin: war es nicht 1963?) wurde die St.Jürgen-Schule fertiggestellt und die Schüler wurden auseinandergerissen. Ich weiß noch, daß die Lange Straße und der Holm der neuen Schule zugegliedert wurden. Alles sollte nun neu und besser werden. Es wurden jetzt gemischte Klassen erstellt. Jungs und Mädchen in einer Klasse. Was war das aufregend für uns.

Die Prügelstrafe wurde verboten (Admin: lt. Gesetz ab 1973), was allerdings Theorie bleiben sollte. Die neue Rektorin, Frau Sendel, hat weiterhin in der Schule Ohrfeigen verteilt und nicht nur sie. Lehrer Popp, der schwer alkoholkrank war, verstand dieses auch. Ich weiß auch noch, daß zwei Jungs und ich auf dem Hinweg zur Schule geraucht hatten.

Wolfgang J. verpetzte uns. Dieses nahm Herr Popp zum Anlaß meine Eltern aufzusuchen. Dort hat er sich dann bitterlich darüber beschwert, daß ich geraucht habe und betont, wie schädlich es doch sei. An diesem Abend hat er alleine eine Flasche Cognac der Marke Noris ausgetrunken und ist dann zu später Stunde nach Hause getorkelt. Was für eine Blasphemie.

Die Härte aber war der Aushilfslehrer xxx mit seiner Laute. Er lebt heute noch wie eh und je auf den Gallberg. Wenn ich ihn ab und zu einmal sehe, kommt es mir heute noch hoch und ich habe große Lust – allerdings nur andeutungsweise – ihm eine zu scheuern.

Ich weiß, Vergebung bedeutet Heilung, aber es ist nicht leicht ihm zu vergeben. Die Verachtung, die ich für diesen Mann empfinde, sitzt, für diesen Stümper seines Berufsstandes, noch sehr tief. Ich weiß auch, daß ich etwas rebellisches und aufsässiges an mir gehabt haben muß. War das ein Wunder?

Ganz sicherlich war es auch Stolz und ein ausgeprägter Gerechtigkeitsinn, der mir damals schon zu eigen war. Gott sei Dank habe ich mir dies bis heute bewahrt. Jedenfalls stand fest, daß der xxx auf mich einen Kieker gehabt haben muß.
Eines Tages, als ob er auf die Gelegenheit gewartet hatte, kam, was kommen mußte. Ich saß wahrscheinlich träumend da und folgte mehr oder weniger seinem langweiligen Unterricht. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand und Lehrer xxx nahm dies zum Anlaß, mich zu fragen, warum ich mich gemeldet hätte. Nun antwortete ich: “Ich habe mich nicht gemeldet, ich habe nur meinen Kopf abgestützt.“ Da flippte er völlig aus. Er schlug mir nicht nur ins Gesicht, sondern wieder auf mein krankes Ohr. Ich kann es mir heute nicht mehr vorstellen, daß ich mich nicht gewehrt habe und nichts zu Hause erzählte. Dieses sollte sich aber nach der Klassenfahrt nach Idar-Oberstein für immer ändern.

Ich hatte mich so auf diese Reise gefreut, zumal meine Eltern sich die Reisekosten vom Munde abgespart hatten. Am Bahnhof, bevor ich einstieg, trat Herr xxx von hinten an mich heran, packte mich an der Schulter, schnellte sein Knie hoch und traf mit voller Wucht mein Steißbein. Einen Moment lang hatte ich keine Bodenhaftung mehr. Dann zischte er mir ins Ohr: “Wenn du auf dieser Reise eine falsche Bewegung machst, lernst du mich kennen!“ Seitdem weiß ich, was die Worte Sympathie und Antipathie bedeuten.

Mir schossen die Tränen in die Augen. Von da an schwor ich mir, jetzt ist Schluß! Auf dieser Reise habe ich mich bemüht, nicht aufzufallen. Wie es sich aber herausstellen sollte, hatte ich keine Chance. Wie noch heute aus den Klassenfahrtberichten zu entnehmen ist, war es offensichtlich, was damals ablief. Ein Beispiel war gleich der zweite Tag.

Es steht dort wortwörtlich: Reinhard kletterte trotz Verbotes mit den Anderen auf die Kaiser Thermen. Er erhielt eine strenge Rüge. Es ist schon merkwürdig, daß ich mit den Anderen kletterte und nur ich bestraft wurde. Die Rüge sah so aus, daß ich eine Backpfeife auf mein gerade verheiltes oder besser gesagt, vernarbtes Trommelfell bekam.

Dann weiter im Originaltext des Klassenfahrtberichtes. Der dritte Tag. Im Wald zählte unser Lehrer die Kinder, es fehlten vier. Sie bekamen eine Strafarbeit auf. Wahrheit aber ist, daß ich der Einzige war, der eine Strafarbeit aufbekam. Merkwürdigerweise hatte ich danach vier Tage Ruhe. Es war jetzt schon der siebente Tag. Originaltext „Gunter Knud und Reinhard fanden die schönsten Steine. Plötzlich bemerkten wir, daß Reinhard fehlte. Er mußte geholt werden. Er bekam dafür Hausarrest und durfte an nächsten Tag nicht mit auf die Wanderung“. Es ist doch eigenartig, daß ich bestraft wurde, obwohl wir die Genehmigung hatten auszuschwirren, um Steine zu sammeln. Jetzt stand mein Entschluß endgültig fest: “Ich werde mich bei meinem Vater offenbaren!” Diese Ungerechtigkeiten wollte ich mir nun nicht mehr gefallen lassen. Ich war sehr froh, daß wir wieder nach Hause fahren konnten. Zumal meine heimliche Liebe Marlies Jensen sich in Idar –Oberstein einen Jungen aus Satrup angelte. Dieser Junge war, wie wir, auf einer Klassenfahrt in diese wunderschöne Stadt gekommen. Ich glaube, daß Marlies nie meine Zuneigung die ich ihr gegenüber empfand, jemals bemerkt hat.

Mein Vater fiel aus allen Wolken, und er versprach mir, mit dem Lehrer xxx zu reden. Nach ein paar Tagen klopfte es an der Klassentür. Nachdem Lehrer xxx “Herein“ gesagt hatte, trat, oh welch eine Überraschung, mein Vater ein und sagte: “Entschuldigen Sie, mein Name ist Dendtler und ich komme, um Sie wegen meines Sohnes zu sprechen.“ Da sagte Lehrer xxx unwirsch „Ich habe keine Zeit, Sie sehen doch, daß ich Unterricht habe“. Da erwiderte mein Vater vor der ganzen Klasse: “Auch ich habe keine Zeit und deswegen sage ich Ihnen jetzt vor den Schülern, was ich Sie draußen fragen wollte. Sind Sie Manns genug sich mit Erwachsenen zu schlagen oder können Sie nur Kinder schlagen? Wenn ich in Zukunft von meinem Sohn noch einmal höre, daß sie ihn traktiert, beziehungsweise angefaßt haben, dann lernen sie mich kennen! Jetzt wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“ Bums, zu war die Tür. Ein paar Sekunden lang herrschte eine merkwürdige Stille im Klassenraum. Lehrer xxx fuhr fahrig mit seinem Unterricht fort und es dauerte nicht lange, bis es zur Pause schellte. In der Pause sagten einige Mitschüler, daß auch sie so einen Vater haben möchten. Von diesem Tage an hatte ich bis zum Ende der Schulzeit keine Schwierigkeiten mehr. Vor allen Dingen nicht durch Lehrer xxx. Dank an meinen Vater! Noch heute frage ich mich, warum ich nicht schon früher etwas zu meinen Eltern gesagt habe? War es vielleicht ein falsches Ehrgefühl? War es Angst, eine Schwäche zu zugeben? Ein Indianer kennt keinen Schmerz? Wenn man bedenkt, was früher den Schülern für ein Unrecht angetan worden ist, kann man nur mit dem Kopf schütteln.

Lehne es nicht ab,

das Negative zur Kenntnis zu nehmen.

Weigere Dich lediglich,

N.V. Peal

Es ist früher viel verkehrt gemacht worden. Wenn man bedenkt, daß Kleinkindern auf die Finger geschlagen wurde, wenn sie die Tendenz hatten mit links zu schreiben. “Das ist die eische Hand”, wurde dann gesagt. Heute weiß man, daß es mit der Anordnung des Gehirns zu tun hat. Schreibschwäche bedeutete einfach nur “dumm“ zu sein, aber heute weiß man, daß es sich um Legasthenie handeln könnte. Sicherlich ist man heute in der Lage, pädagogisch in den Schulen anders und besser zu wirken. Zwang und Strafe im Schulunterricht, so weiß man, ziehen Konsequenzen nach sich.

Auszüge aus dem Buch “Zwang im Unterricht”. Erschienen im Beizt Verlag:

Strafandrohung kann im Prinzip die selbe Wirkung haben, wie tatsächlich erfahrene Bestrafung. Die Folgen ständig wiederholter persönlicher Bestrafung, sind vielfältig und durchgehend Negativ. Es entsteht passive Vermeidung (nicht- Aufschwung) der Bestrafungssituation. Aktive (fliehende oder vorbeugende) Vermeidung der Bestrafungssituation. Mehr oder weniger generalisierte Unsicherheit und Gehemmtheit, Einschränkung der Verhaltensmöglichkeiten, der Flexibilität und Lernfähigkeit. Infolgedessen Untüchtigkeit und Erfolglosigkeit. Speziell in Trainingssituationen: Einschränkung der Fähigkeit, die geforderten Leistungen zu erbringen. Vorsicht, Konformität, Unselbständigkeit, Gehorsam, Duckmäuserei, Abhängigkeit von der bestrafenden Instanz. Starre, Konservatismus, Veränderungsfeindlichkeit, Dogmatismus, autoritäres Verhalten. Angst, Haß, Agressionsbereitschaft und offene, versteckte, verkappte oder verschobene Aggressivität der bestrafenden Instanz, oder – schlimmstenfalls – der ganzen Gesellschaft gegenüber. Nachahmung des bestrafenden Verhaltens.

Es ist ein Bruchteil dessen was Gewalt, egal in welcher Form auch immer, ausrichten kann, wie hier beschrieben.

„Wir sind, was wir wiederholt tun.

Außerordentlich zu sein ist daher nicht ein außerordentlicher Akt, sondern eine Gewohnheit.“

Aristoteles


3.010 Ansichten

3 Gedanken zu „Die Schule“

  1. Das habe ich als Kind damals so auch erlebt.
    Wenn ich in der Schule gekriegt hatte, gab es zuhause dafür auch noch mal anständig den nackten Hintern voll, aber so richtig!
    Wer kennt das auch so und möchte sich mit mir austauschen? Würde mich freuen!

    zoomzoom3012@web.de

    VG
    Rüdiger

    Antworten
  2. Hi bin der Lars 17 Jahre alt. Wir haben auf der Schule einen Sportlehrer der auf Jungs steht. Oft werden wir Jungs über einen turnbock gelegt und er gibt uns leichte klatsche auf die stramm gezogene Hose. Egal tut nicht weh und wir gönnen ihm den Spaß dafür kriegen wir gute Noten.

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